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Der Flaschen-Nationalpark

In der Nähe von Kratzeburg habe ich am Ufer des Krummen Sees eine Limoflasche gefunden, die – nachdem ein Zeitgenosse diese weggeworfen hatte – ein Eigenleben führte. Organisches Material in Form einer Rests des süßen Getränks gab den Impuls für eine Entwicklung, die sich im Miniformat mit Gewächshäusern in Botanischen Gärten messen kann.

Ungeklärte Fragen bleiben: Wie viel Zeit war erforderlich, um sinnbildlich einen Liter biologische Vielfalt zu erschaffen? Einziger Anhaltspunkt: Weniger als 30 Jahre, denn diese Flaschenform war in der DDR nicht üblich.

Wie viele Tier- und Pflanzenarten bevölkern diesen Kosmos, der sich über die Jahre fast auf den ganzen Flaschenboden ausgedehnt hat?

Von Menschen unbeeinflusste Naturentwicklung – was sich im Müritz-Nationalpark im Großen auf fast 322 km² Fläche abspielen darf, passierte auch zeitgleich auf 0,0192 m².

Die Wildnis in der Flasche habe ich in unseren Garten verfrachtet: War das richtig? War die Wildnis in der Flasche nicht auf die Wildnis am Krummen See angewiesen? Oder bot die Entnahme der Flasche an dieser Stelle die Chance, dass sich hier Vegetation ohne den Einfluss des Glasbehälters seitdem wieder natürlich entwickeln kann? Fast schon eine naturphilosphische Frage.

Soweit ich das mit bloßen Augen beurteilen kann, kommen seit 2 Jahren die Moose und Farne als markanteste Pflanzen in der Limoflasche auch in unserem Garten zurecht.

Tut man so, als sei diese Flasche eine künstlerische Installation, erinnert diese an ein Werk, das 2009 im Kunstmuseum Bonn gezeigt worden ist. Hier hat Walter Kütz seit 2000 mehrere Terrarien aus Glas mit Moosen zu einem großen Turm gruppiert, in dem man an einer Seite tiefer hineinschauen konnte. Deswegen der Titel „Probesitzen im H.c. (Hortus conclusus = geschlossener Garten)

http://www.kuetz.com/hortus-conclusus1.html

Bemerkenswert ist, dass sich mit der Flasche die Natur ohne menschliche Wirkung selbst ein Kunstwerk geschaffen hat, während Walter Kütz das Ganze mit Glasbehältern, Pflanzen und Neonröhren aufwändig erschaffen musste.

Wildnisflasche und Hortus conclusus haben gemeinsam, auf die Begrenztheit von Natur aufmerksam zu machen und manchmal gelingt das meiner Meinung nach mit einem Zufallsfund sogar besser.