Was machst du also?

Dieses Jahr 2023 bietet soviel Freiheit, wie sie in meinem geregeltem Leben bisher nur während der Zeit des Studiums bestand, wenn auch in zeitlich geringeren Dosen – 3 Monate Semesterferien – und mit weniger finanziellen Möglichkeiten. Vorab 4 Wochen zu jobben, um dann im Sommer ausreichend Geld für eine Reise zu haben, das war damals der Plan.
Jetzt von 40 Stunden die Woche auf 0. Das wirft bei vielen meiner Mitmenschen Fragen auf. Es scheint, als ob die Erwartung bestünde, auch während des Sabbatical die Zeit möglich effektiv nutzen zu müssen: So schnell ist das Jahr wieder vorbei!
Es wäre legitim, gefühlt einfach NICHTS zu machen, jedenfalls nichts spektakuläres, auch wenn dies sicher nicht der Erwartungshaltung Anderer entspräche. Mein Jahr, meine Entscheidungen! Zugegeben, dies würde aber auch meinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht werden.
Die Monate Januar bis April waren also durch den Ausbau des Ferienhauses und der Organisation der jetzigen achtwöchigen Reise bestimmt. Eine gute Mischung zwischen Beschäftigung und zur Ruhe kommen – und das zweite Halbjahr wird auch Einiges an Erlebnissen bereithalten.

Wohlstand an Zeit

Seit Anfang 2023 habe ich durch ein Sabbatical viel Zeit. 2014 erschien von einem Autorenkollektiv das Buch Zeitwohlstand, welches sich mit unserer Wirtschaft sowie Lebens- und Arbeitswelt beschäftigt. Mit dem Begriff Wohlstand wird in der Regel Reichtum im monitärem Sinne verstanden, die Verbindung mit der Zeit ist in unserer auf Effektivität getrimmten Gesellschaft bisher eher ungewohnt. Seit vier Monaten bin ich im Hinblick auf den Zeitwohlstand durch das Sabbatjahr ein reicher Mensch.
Dies umso mehr, weil die Entscheidung für das freie Jahr 2023 auf einer eigenen, vor 6 Jahren geplanten Entscheidung beruht und es zwischenzeitlich kein Ereignis gab, welche die Auszeit in Frage gestellt hat.
Es gibt viele Menschen, die zwar viel Zeit haben, aber durch Arbeitslosigkeit oder gesundheitliche Probleme weniger gut oder gar nicht in der Lage sind, ihren Gewinn an Zeit genießen zu können.
Insofern bin ich dankbar, dass es mir insofern besser geht und diese Chance ist vielleicht nur damit vergleichbar, wenn Menschen komplett aus ihrer gewohnten Arbeits- und Lebenwelt aussteigen.

Stark versus schwach

Wirtschaftsentwicklung im klassischen Verständnis orientiert sich immer noch am Prinzip des Wirtschaftswachstums, Gradmesser ist weiterhin und quasi ausschließlich die Steigerung des Bruttoinlandsprodukts (BIP).

Die Begriffe der Strukturstärke bzw. -schwäche, die in der Raumplanung Standard sind, orientierten sich weiterhin an den Parametern der klassischen Wirtschaftstheorien. Neuere Ansätze, die soziale und Umweltaspekte integrieren und Nachhaltigkeit berücksichtigen, sind bisher wenig beachtet worden.

Es ist fraglich, inwieweit eine Kategorisierung, die ausschließlich auf der Steigerung des hergebrachten Wirtschaftswachstums basiert, noch den tatsächlichen Bedürfnissen gerade der ländlichen Räume gerecht wird.

Strukturschwache ländliche Räume, die in Hinblick auf betriebswirtschaftliche Faktoren (z. B. regionales BIP bzw. Einkommen, Arbeitslosenquote) hinterher hinken, weisen dagegen Stärken in Hinblick auf Umwelt- und Sozialfaktoren (z. B. weniger Lärm, bessere Luftqualität, höhere Biodiversität aber auch niedrigere Kriminalität oder geringere Kosten für Wohnen) auf.

Es ist somit nicht realistisch und wäre unter Beachtung der Nachhaltigkeit auch nicht sinnvoll, strukturschwache Regionen nach den bisherigen wirtschaftstheoretischen Prinzipien zu strukturstarken Regionen umwandeln zu wollen. Die Seenplatte wird nicht der Landkreis Böblingen.

Schlussfolgerung muss sein, zukünftig Regionalentwicklung an anderen Maßstäben zu bemessen und Ziele genauer und besser zu definieren.

Ein Lösungsvorschlag wäre, zukünftig die Regionalentwicklung der Mecklenburgischen Seenplatte am Modell der Gemeinwohl-Ökonomie auszurichten. Dieses Modell steht für den Aufbruch zu einer ethischen Marktwirtschaft, deren Ziel nicht nur die Vermehrung von Geldkapital ist, sondern das gute Leben für alle Bewohner:innen der Mecklenburgischen Seenplatte ist.

Würde die Regionalentwicklung der Mecklenburgischen Seenplatte auf Grundlage der Gemeinwohl-Ökonomie ausgerichtet, stünde unsere Region in einer gerechteren Bewertung aller Faktoren der Nachhaltigkeit nicht nur höher im bundesweiten Ranking – falls das tatsächlich wichtig ist.

Die umfassendere Analyse ergäbe auch eine andere Priorisierung und damit geänderte Maßnahmen, die der ländlichen Bevölkerung besser gerecht werden würde und hierauf kommt es vor allem an.

Zauberwort Innovation

Vom Ursprung bedeutet Innovation abgeleitet vom lateinischen „innovare“ Erneuerung. In der Umgangssprache wird der Begriff überwiegend mit Erfindungen und wirtschaftlichem Fortschritt in Verbindung gebracht. Bei Innovation denken wir beispielsweise an einen amerikanischen Autobauer, den manch einer als Held vergöttert. Dabei wird verkannt, dass schon 1888 die Maschinenbauer Gebrüder Flocken aus Coburg das erste deutsche Elektroauto konstruierten.

Franz Haag – Eigenes Werk, CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=30896383

Innovationen nur im wirtschaftlichen Kontext zu verstehen, greift zu kurz, da die Gesellschaft von vielfältigen Erneuerungen beeinflusst wird.

Insofern sollten Erneuerungen, selbst wenn sie negativ konnotiert sind, in Hinblick auf ihre Wirkungen objektiv betrachtet werden. Im weiteren Sinne ist somit selbst die Coronapandemie eine Innovation, da diese Generation erst mit diesen Herausforderungen umgehen musste. Zugleich brachte die Pandemie weitere Innovationen hervor, an die zuvor kaum zu denken war. Zoom war vor 2019 ein Insider-Programm.

Ein weiteres Beispiel für eine Innovation ist die Gründung eines Nationalparks, in dem auf dieser zu schützenden Fläche in einer bis dato bewirtschafteten Region ein Schalter in Richtung weitgehend ungestörter Naturentwicklung umgelegt wird. Auch hieraus ergeben sich innovative Effekte, die nachhaltige Fortschritte bedeuten, wenn dies in der Region als Chance begriffen wird.

Bediene Dich Deines Verstandes!

Immanuel Kant war als Universalgelehrter in seiner Lebenszeit von 1724 – 1804 lediglich in Ostpreußen aktiv und hat Königsberg kaum verlassen. Das heißt, zur Entwicklung seiner umfassenden Perspektive in der Philosophie dienten die Erkenntnisse der Epoche, in der er lebte sowie der räumliche Horizont, den er hatte. Darüber hinaus stand er natürlich in Kontakt mit anderen Gelehrten und nutze die Medien in der Form und Geschwindigkeit, wie sie damals zur Verfügung standen.

Die Weltbevölkerung betrug zum Zeitpunkt der Herausgabe des Buches „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“ etwa 900 Mio. Menschen. Auf Grundlage damaliger Rahmenbedingungen schuf er den Kategorischen Imperativ als grundlegendes Prinzip ethischen Handelns. Diese Grundregel nimmt Menschen, Vernunftwesen, die sie sind, unter allen Bedingungen in die Pflicht:

Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“

Heute ist dieses Gebot dringlicher und aktueller denn je:

Die Weltbevölkerung hat sich seit 1785 bis heute in den letzten 236 Jahren um 7 Milliarden vervielfacht.

Die Ressourcen der Erde sind endlich und werden immer knapper.

Der fossile Ressourcenverbrauch heizt das Weltklima auf.

Wenn ein Wirbelsturm über Haiti fegt, der Wald in Kalifornien brennt oder Überschwemmungen im Ahrtal auftreten, wir wissen innerhalb kürzester Zeit davon.

Wir wissen mehr und wir erfahren die Folgen unseres Handelns weltweit immer schneller und jeder trägt im Wissen hierum globale Verantwortung. Diese wiegt schwerer als 1785.

Immanuel Kant, würde er heute leben, wäre ein Scientist for future. Schönen Wahlsonntag.

Features

Der Flaschen-Nationalpark

In der Nähe von Kratzeburg habe ich am Ufer des Krummen Sees eine Limoflasche gefunden, die – nachdem ein Zeitgenosse diese weggeworfen hatte – ein Eigenleben führte. Organisches Material in Form einer Rests des süßen Getränks gab den Impuls für eine Entwicklung, die sich im Miniformat mit Gewächshäusern in Botanischen Gärten messen kann.

Ungeklärte Fragen bleiben: Wie viel Zeit war erforderlich, um sinnbildlich einen Liter biologische Vielfalt zu erschaffen? Einziger Anhaltspunkt: Weniger als 30 Jahre, denn diese Flaschenform war in der DDR nicht üblich.

Wie viele Tier- und Pflanzenarten bevölkern diesen Kosmos, der sich über die Jahre fast auf den ganzen Flaschenboden ausgedehnt hat?

Von Menschen unbeeinflusste Naturentwicklung – was sich im Müritz-Nationalpark im Großen auf fast 322 km² Fläche abspielen darf, passierte auch zeitgleich auf 0,0192 m².

Die Wildnis in der Flasche habe ich in unseren Garten verfrachtet: War das richtig? War die Wildnis in der Flasche nicht auf die Wildnis am Krummen See angewiesen? Oder bot die Entnahme der Flasche an dieser Stelle die Chance, dass sich hier Vegetation ohne den Einfluss des Glasbehälters seitdem wieder natürlich entwickeln kann? Fast schon eine naturphilosphische Frage.

Soweit ich das mit bloßen Augen beurteilen kann, kommen seit 2 Jahren die Moose und Farne als markanteste Pflanzen in der Limoflasche auch in unserem Garten zurecht.

Tut man so, als sei diese Flasche eine künstlerische Installation, erinnert diese an ein Werk, das 2009 im Kunstmuseum Bonn gezeigt worden ist. Hier hat Walter Kütz seit 2000 mehrere Terrarien aus Glas mit Moosen zu einem großen Turm gruppiert, in dem man an einer Seite tiefer hineinschauen konnte. Deswegen der Titel „Probesitzen im H.c. (Hortus conclusus = geschlossener Garten)

http://www.kuetz.com/hortus-conclusus1.html

Bemerkenswert ist, dass sich mit der Flasche die Natur ohne menschliche Wirkung selbst ein Kunstwerk geschaffen hat, während Walter Kütz das Ganze mit Glasbehältern, Pflanzen und Neonröhren aufwändig erschaffen musste.

Wildnisflasche und Hortus conclusus haben gemeinsam, auf die Begrenztheit von Natur aufmerksam zu machen und manchmal gelingt das meiner Meinung nach mit einem Zufallsfund sogar besser.